Linksrum - Woche 44/2017

Grossratsgeflüster

zugespitzt

Grossratsgeflüster vom 25. Oktober 2017

von Marina Bruggmann, Kantonsrätin Salmsach

Zu Beginn der Grossratssitzung vom 25. Oktober wurden mit einer übervollen Zuschauertribüne und Applaus ein Ehrenbürgerrecht und 119 Kantonsbürgerrechtgesuche verabschiedet.
Als erstes Traktandum stand die Interpellation "Sterbehilfe im Thurgau" zur Diskussion. Erwartungsgemäss wurde das Thema sehr emotional, von der eigenen Haltung geprägt, diskutiert. Als Geschäftsführerin des Hospizdienstes Thurgau, der ein Teil vom Palliativen Care Konzept im Kanton ist, kenne ich die Strukturen sehr gut und es war mir in meinem Votum wichtig aufzuzeigen, wie viel sich in den letzten Jahren in diesem Bereich entwickelt hat. Der letzte Lebensweg eines Menschen gehört zu den emotionalsten Ereignissen eines Lebens. Seit dem "Ja zu mehr Lebensqualität, ja zu Palliative Care 2009", hat sich bei uns im Kanton sehr viel getan. Zur Nationalen Strategie wurde im Thurgau schon 2010 das Umsetzungskonzept Palliative Care erarbeitet. 2826 Personen wurden in den ersten vier Jahren geschult und sensibilisiert. Mit der Eröffnung der Palliative Station und der Mobilen Equipe Palliative Plus in der Spitalthurgau AG, Standort Münsterlingen, wurden weitere Eckpfeiler in der Palliativen Arbeit geschaffen. Dass der Kanton eine Leistungsvereinbarung mit dem Hospizdienst Thurgau ausgearbeitet hat, ist Schweiz weit einzigartig.

Weitere wichtige unterstützende Dienste, wie etwa die Krebsliga oder der Entlastungsdienst des Schweizerischen Roten Kreuzes Thurgau, stehen zur Verfügung. Zusammen mit dem Fachpersonal Spitin- und extern verfügen wir über eine gute Struktur der palliativen Versorgung. Ein wichtiges Anliegen von Palliative Care ist die Vernetzung und Zusammenarbeit all dieser Dienste. Es gibt aber, obwohl sich im Bereich der Palliative Care sehr viel getan hat immer wieder Situationen, in denen das Leid, die Schmerzen oder die Angst so gross sind, dass keine Unterstützung mehr greift. So gross, dass ein betroffener Mensch für sich und sein Leben keinen Lebenswert mehr definieren kann und sein Leben in Würde und für ihn stimmig beenden möchte. Oder er trifft die Entscheidung, dass er eine Krankheit nicht bis zum Ende durch- und erleben möchte. Im Palliativen Konzept sprechen wir vom Achten der Würde und der Autonomie des Menschen. Dann sollten wir das auch tun! Auch dann, wenn es vielleicht nicht mit unserer eigenen Haltung überreinstimmt.

In meiner Arbeit darf ich auch immer wieder betroffene Menschen kennen lernen, die sich entscheiden mit Unterstützung von Exit aus dem Leben zu gehen. Eine kompetente, menschliche und professionelle Beratung und Begleitung, wie sie im Bereich Palliative Care angestrebt wird ist auch Exit ein grosses Anliegen. Dies sind keine unüberlegten Handlungen, es ist viel mehr immer ein begleiteter Prozess. Angehörige und Bezugspersonen werden, wenn von den betroffenen Personen gewünscht, jederzeit miteinbezogen.

Die Haltung der Institutionen, die keinen begleiteten Suizid zulassen, irritiert mich. In den Leitbildern wird von einem zu Hause für den letzten Lebensabschnitt gesprochen und die Autonomie der Bewohnerinnen und Bewohner wird gross geschrieben. Objektiv betrachtet sind die Bewohnerinnen und Bewohner doch Mieter von einem Zimmer in dieser Institution. Trotzdem dürfen sie nicht entscheiden, was in ihren vier Wänden, ihrem gemieteten zu Hause für den letzten Lebensabschnitt geschieht. Für einen begleiteten Suizid müssten sie ihr zu Hause verlassen und an einen Ort, den sie nicht kennen und zu dem sie keinen Bezug haben, um ihr Leben zu beenden - ist das würdevoll? Exit arbeitet nach denselben Grundsätzen wie die Palliative Arbeit und ist ein Bedarf für einen Teil der Menschen im Kanton an deren Lebensende.

Diese Meinung teilten vor allem die Interpellanten nicht und verschiedene Voten über das menschliche einmischen in die göttliche Schöpfung wurden angebracht. Jedoch waren sich alle einig, dass das Palliative Angebot im Kanton sehr gut ausgebaut ist.

Als zweites Traktandum wurden das Eintreten und die 1. Lesung über das Kantons- und Gemeindebürgerrecht in Angriff genommen, aus Zeitgründen konnte dies aber nicht zu Ende beraten werden. Ein Hauptdiskussionspunkt war die erforderliche Sprachkompetenz. Ein Antrag aus der SVP Fraktion, das Niveau anzuheben fand nur ganz knappe Mehrheit mit 57 Ja- zu 56 Nein stimmen. Die Fortsetzung folgt an der nächsten Ratssitzung!

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