Linksrum - Woche 21/2017

Susanne international

zugespitzt

Turbulente Zeiten im östlichen Nachbarland - oder: Warum ich Konkordanzregierungen mag

Susanne international: Susanne Oberholzer (37), Sprachwissenschaftlerin, Auslandschweizerin, Exil-Thurgauerin, alt Kantonsrätin, betrachtet die Schweiz und den Thurgau seit 2015 vom Ausland aus: zunächst fast zwei Jahre aus München, seit Oktober 2016 aus Wien. Es ist ein zweifacher Blick von aussen: von aussen auf die Schweiz als Auslandschweizerin - und von aussen auf Österreich als Ausländerin. Das Resultat erscheint in losen Abständen im Linksrum.


In Österreich gibt es seit 2013 eine grosse Koalition: SPÖ und ÖVP regieren theoretisch gemeinsam. Von "gemeinsam" ist aber bereits seit Wochen, wenn nicht Monaten wenig zu erkennen: Die beiden Parteien griffen sich in regelmässigen Abständen gegenseitig an, und es war absehbar, dass die nächsten Wahlen wohl kaum erst 2018 stattfinden werden. Seit letztem Dienstag ist jetzt klar: Diese Regierung ist am Ende, gewählt wird bereits am 15. Oktober.

In aller Kürze die wichtigsten Ereignisse der letzten beiden Wochen, in denen diese SPÖ-ÖVP-Regierung durch die ÖVP und namentlich den 30-jährigen Aussenminister Sebastian Kurz, der seinen Kanzlergelüsten nachgeht, beerdigt wurde:

  • 8.5. ÖVP-Innenminister Sobotka wirft in einem Zeitungsinterview dem SPÖ-Kanzler Kern (also notabene dem Chef der Regierung, der auch Sobotka angehört!) Versagen vor.
  • 9.5. Gerüchte um einen Rücktritt von ÖVP-Vizekanzler und Parteiobmann Mitterlehner machen die Runde.
  • 9.5. ÖVP-Aussenminister Kurz, der schon länger als Kanzlerkandidat der ÖVP gehandelt wird, dementiert, dass er Interesse am Parteivorsitz hat: Der Job sei nicht attraktiv.
  • 9.5. Mehrere SPÖ-Minister kritisieren Kurz und Sobotka öffentlich heftig, weil diese dem Ministerrat, dem wöchentlichen Treffen der Regierungsmitglieder, ferngeblieben waren.
  • 10.5. Mitterlehner tritt entnervt zurück (Video der Rücktrittsrede), nicht ohne auf den eigenen Aussenminister anzuspielen: "Ich bin kein Platzhalter, der auf Abruf bis irgendjemand Zeitpunkt, Struktur und Konditionen festlegt, und die ihm passen, irgendwo agiert."
  • 12.5. Kurz hält eine Pressekonferenz ab und plädiert für Neuwahlen. Ausserdem stellt er klar, dass er doch Obmann werden will, aber nur, wenn die ÖVP sieben Bedingungen erfüllt.
  • 14.5. Die ÖVP knickt komplett ein (Der Standard, 15.5.: "ÖVP akzeptiert Entmachtung: Kurz neuer Obmann" und "Die Unterwerfung der ÖVP"), akzeptiert Kurz' Forderungen und dieser wird ÖVP-Chef.
  • 16.5. Alle Parteien - Regierung und Opposition - einigen sich auf Neuwahlen im Oktober. Kurz verweigert das Vizekanzleramt. Im Parlament fliegen lautstark die Fetzen.
  • 17.5. Die Fetzen im Parlament fliegen weiter.

Es kracht so richtig hier in Österreich: SPÖ und ÖVP greifen im Parlament zum verbalen Zweihänder, die anderen Parteien halten problemlos mit. Liveticker in den Medien, LeserInnen-Kommentare im Sekundentakt.

Eins ist klar: Die nächsten Monate werden noch mühsamer. Zwei Parteien sollen miteinander regieren, sind aber gegeneinander am Wahlkämpfen. Auf der einen Seite die SPÖ mit Kanzler Christian Kern, der medial geschickt agiert. Auf der anderen Seite Sebastian Kurz, der mit einer eigenen Liste antritt ("Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei") und unbedingt Kanzler werden will. Und dazwischen HC Strache von der FPÖ, der irgendwie den 1. Platz in Meinungsumfragen am 15.10. über die Ziellinie tragen will. (Dazwischen zermalmt werden könnten die Grünen, deren Parteiobfrau Glawischnig am 18.5. ihren Rücktritt angekündigt hat, und die NEOS, eine liberale, seit 2012 existierende Partei.) Die letzten Tage haben gezeigt: Es ist hier schon lange Wahlkampf und vieles, was gerade gesagt und geschrieben wird, dient nur der eigenen Inszenierung und nicht dem Wohl Österreichs.

Deshalb ist mir in diesen turbulenten letzten Tagen eines wieder einmal klar geworden: Das Schweizer System mit der Konkordanzregierung mag träge sein und gerade uns SozialdemokratInnen oft auch viel zu langsam. Es geht gefühlt ewig, bis tragfähige Kompromisse gefunden und beschlossen werden, die uns häufig viel zu wenig fortschrittlich sind. Aber ganz ehrlich: Lieber unser Schweizer System als dieser medienwirksame Politshowdown mit den Inszenierungen der letzten Tage, der die eigentliche Regierungsarbeit verunmöglicht.

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