Linksrum - Woche 12/2017

Workshop

zugespitzt

Workshop "Arbeits"migration

von Nina Schläfli, Parteipräsidentin und Julian Fitze, politischer Sekretär

Eher kurzfristig wurden wir vom Verein «Ethique & Cité» zu einem Workshop im Ethik-Atélier an der PMS Kreuzlingen eingeladen. Kurzerhand machten wir eine Bildungsveranstaltung zum Thema Migration daraus, ohne zu wissen, was da genau auf uns zukommt. Die Absprachen mit der Organisatorin lauteten: Ein Workshop zum Thema Ethik und Migration mit dem Schwerpunkt «Arbeits»-Migration und ein bisschen Bezug zum Thurgau und zur Politik, damit wir auch etwas in die alltägliche Arbeit mitnehmen können. Daraus wurde: ein zweistündiges Wartesaalexperiment.

Diese "Faktenwand" erwartete die Teilnehmenden zu Beginn der Veranstaltung.

Nach dem Eintritt in die "Arena".

Die Ausgangslage war folgende: Alle TeilnehmerInnen sind Embryos in einem Wartesaal unter dem «Schleier des Nichtwissens» (das Gedankenexperiment von John Rawls wird hier am Beispiel der Ungleichheit erklärt). Wir stehen kurz vor der Geburt, wissen aber nicht wann, unter welchen Umständen, mit welchen Fähigkeiten und vor allem wo wir geboren werden. Die zugrundeliegende These bei diesem Experiment ist, dass unvoreingenommene Embryos anders bzw. gerechter entscheiden als beispielsweise PolitikerInnen. Unter diesen Annahmen mussten wir, fast zehn SP-Mitglieder und SympathisantInnen, in zwei Gruppen folgende Fragen beantworten: Migration ja/nein? Falls ja, wer? Und wohin? Mit welchen Bedingungen oder Einschränkungen?

Die Resultate der rund einstündigen Diskussionen in den beiden Gruppen waren sehr unterschiedlich. Während die erste Gruppe ein ausgeklügeltes, weltweites System mit einer internationalen Migrationsagentur entwarf, setzte die zweite vor allem auf die Verantwortung der reichen Staaten.

  • 1. Gruppe: Ausgehend von der Grundannahme, dass die Gefahr für die Embryos im Gedankenexperiment, in einem Armutsgebiet geboren zu werden, einfach zu hoch ist, gingen wir davon aus, dass sie sich für weltweit offene Grenze entscheiden würden. «Der Markt» würde anschliessend für eine Verteilung der migrierenden Menschen führen - denn Menschen ziehen nur dorthin, wo sie Perspektiven sehen. Um ein Chaos nach der Grenzöffnung zu verhindern, entwickelte sich die Idee weiter bis hin zu einer «World Migration Agency», deren einzige Funktion es wäre, das Menschenrecht auf Migration sicherzustellen und gleichzeitig die Menschen gemäss ihre Bedürfnissen, Fähigkeit und Bedarf im Zielland zu verteilen. Eine gruslige Vorstellung, einer hochbürokratischen und fast allmächtigen Organisation, wie uns bald einmal bewusst wurde.

  • 2. Gruppe: Das Ziel oder die Utopie, welche wir zuerst konstruierten, war eine Welt, in der überall ein würdiges Leben möglich ist und keine Grenzen kennt. Mit der Einsicht, dass es ein weiter Weg werden würde, bis dieses Ziel tatsächlich erreicht wäre, sahen wir uns dann doch gezwungen, gewisse Einschränkungen und Bedingungen zu treffen. Die meisten der getroffenen Bedingungen appellierten an die Verantwortung der reichen Staaten und waren mit Forderungen wie beidseitige Integrationsbemühungen sowie Zugang zu Arbeit und Bildung, keine wirtschaftliche, fiskalische und ökologische Ausbeutung anderer Staaten, ein massiver Ausbau der Entwicklungshilfe und die Propagierung von Good Governance, verknüpft. Hinter diesem Vorschlag konnten alle Gruppenmitglieder noch mehr oder weniger stehen, auf die Frage, wer grundsätzlich migrieren darf und wer nicht, wurde keine zufriedenstellende Antwort gefunden.

Bei der Vorstellung der beiden Resultate und der anschliessenden Diskussion stiessen wir immer wieder an persönliche, politische oder ethische Grenzen. Wer darf unter welchen Umständen wohin migrieren? Die utopische und einstimmige Antwort darauf war: Alle, in einer Welt ohne Grenzen und ohne Einschränkungen. Die Meinungen zu konkreten Fragen wie in welchen Fällen gewisse Einschränkungen getroffen werden müssen (das Wort «Dichtestress» wurde tunlichst vermieden), wer migrationsberechtigt ist und ob eine Weltregierung tatsächlich Probleme lösen kann, gingen auseinander.

An den Wänden der Arena durften die bisherigen Teilnehmenden einen Wunsch, einen Gedanken oder eine Idee hinterlassen.

Insgesamt war es ein wohltuender Abend, wenn auch ohne konkrete Resultate. Einige TeilnehmerInnen hinterliess er ratlos und mit mehr offenen Fragen als vor dem Experiment. Andere waren sehr zufrieden, weil es für einmal möglich war, über Migrationsfragen in einem geschützten Rahmen laut nachzudenken und Probleme theoretisch auszuformulieren, ohne dabei ständig die Abwehrhaltung gegenüber Rassismus oder der Reproduktion von Stereotypen einnehmen zu müssen und sich mit den eigentlichen Migrationsfragen befassen und darauf ganzheitliche, globale Lösungsansätze präsentieren zu können.

Weitere Infos zum Ethikatelier

Zum Verein «Ethique & Cité» (französisch)

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