Linksrum - Woche 8/2017

Bildlegende

zugespitzt

Stefan Kellers Bildlegenden: Zum Rosengarten

Der Journalist und Historiker Stefan Keller hat in seiner Fotosammlung gestöbert, sich erinnert oder recherchiert. Daraus entstanden ist ein wunderbar nostalgischer Buchband. Dem Linksrum stellt Stefan Keller zehn von der Redaktion ausgewählte Bilder samt Legende mit Thurgaubezug zur Verfügung.



Zum Rosengarten

Die Karte hat ein junger Mann im April 1920 aus Birwinken im Thurgau nach Appenzell geschickt und sie von einer Clara mitunterzeichnen lassen. Meine Grossmutter hiess Clara, sie wohnte in Birwinken, damals war sie eine junge Frau. «Ich gehe alle Tage mit Emil aufs Feld u. bin bald ein Grossbauer», schrieb der Absender. Grossmutter hatte einen Bruder namens Emil, der früh verstarb und dessen Grabstein nach der Aufhebung des Grabes noch viele Jahre in ihrer Scheune stand.

Leider ist es nicht die Grossmutter, die hier unterschreibt. Und der Bruder hiess auch gar nicht Emil. Ich habe mir das nur eine Zeit lang so vorgestellt. Interessant bleibt immerhin das Haus mit dem Türmchen. Ein gewisser Jakob Keller - auch er nicht verwandt - betrieb an dieser Stelle um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine Kleiderfärberei, die schlecht rentierte. Ausserdem züchtete er Rosen, das gefiel ihm besser als die ungesunde Arbeit in der Färberei. Keller nahm Kredit auf und wurde Gärtner. «Er hatte einen ausserordentlich guten Sinn für dieses Fach», schreibt ein zeitgenössischer Chronist: «In wenigen Jahren gelang es ihm, seine Gartenanlagen auf die ausgedehnteste Weise zu vergrössern.» Bald berichteten Zeitungen über Kellers wunderbaren Park, vornehme Leute reisten von weit her an, um ihn zu sehen. Keller baute ein Wirtshaus für die Gäste, mit einem Türmchen und einem Saal. Im «Rosengarten» fanden jetzt rauschende Feste statt, Versammlungen der neureichen Thurgauer Sticker, Vorträge einer Mittwochsgesellschaft, bei denen sich die Fabrikanten der Region über den Fortschritt informierten.

1875 kündigte man Keller die Kredite. Da ging er spektakulär in Konkurs. Die Konjunktur seiner Kunden war unberechenbar. Ein paar Jahre zuvor hatte der «Kunst- gärtner und Gastwirth zum Rosengarten» sich auch als Erfinder hervorgetan: Er entdeckte eine Methode, wie man im heissen Sommer Eis aufbewahren konnte - sogar unter freiem Himmel! Jedem Einsender von dreissig Franken, versprach er per Inserat, werde das Geheimnis sofort mitgeteilt.

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