Linksrum - Woche 49/2016 |
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Bildlegenden |
Der Journalist und Historiker Stefan Keller hat in seiner Fotosammlung gestöbert, sich erinnert oder recherchiert. Daraus entstanden ist ein wunderbar nostalgischer Buchband. Dem Linksrum stellt Stefan Keller zehn von der Redaktion ausgewählte Bilder samt Legende mit Thurgaubezug zur Verfügung.
Die kleine Stadt am See ist gerade dabei, ihre Bevölkerung
zu verdoppeln. Innerhalb von zehn Jahren wächst die
Einwohnerzahl auf zehntausend Leute; innerhalb von
fünfzig Jahren wurde sie verzehnfacht, und der Anteil der
Ausländerinnen und Ausländer steht 1910 bei 49 Prozent.
Angelockt von einem lokalen Maschinenindustriellen, hat
ein amerikanischer Unternehmer eine riesige Fabrik
erstellen lassen. 4500 Leute beschäftigt er zur besten Zeit,
einen Teil davon in Heimarbeit, denn nirgendwo, so erklärt
Arnold B. Heine in der New York Times 1903, können
Stickereiwaren derart gut und billig produziert werden wie
an diesem Flecken Europas: «In der Schweiz arbeiten
ganze Familien an den Stickereien. Sie nehmen das
Material mit nach Hause und verrichten viele der delikaten
Arbeiten von Hand. Wir versuchten auch, solche
Arbeiten auf unserer Seite des Meeres in Auftrag zu geben,
doch die Experimente waren nicht von Erfolg gekrönt.»
Boomtown am Bodensee, mit den Stickereifabriken
wachsen die Stickmaschinenfabriken. Immer mehr Arbeitskräfte
ziehen herbei. Immer knapper und teurer werden
zum Beispiel die Wohnungen. Es kommt zu Krawallen:
Schwäbische Immigranten und Schweizer verhauen die
Italiener. Wilde Streiks der italienischen Nachseherinnen.
Gewerkschaftliche Streiks der ganzen Belegschaft.
Man wehrt sich gegen die Erhöhung der Arbeitszeit und
bei Kriseneinbrüchen gegen die Reduktion der Löhne. Der
längste Arbeitskampf der Heine-Arbeiter dauert von März
bis August 1908. In der Presse ist vom «Arboner Krieg»
die Rede. Für die Streikenden werden Spenden in verschiedenen
Ländern Europas gesammelt, und sie gewinnen.
1912 flieht der Stickerkönig vor seinen Gläubigern nach
Amerika. Eine berühmte Postkarte von 1904 zeigt
Heine-Arbeiter auf dem Arboner Sternenplatz. Im Hintergrund
die Villa von Arnold B. Heine, links die Fabrik,
rechts die firmeneigenen Arbeiterhäuser. Wer dort wohnte,
wurde im Streikfall nicht bloss entlassen, sondern
auch obdachlos. Die Hälfte der Arbeiter auf dem Bild sind
Kinder.
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