Linksrum Abstimmen&Wählen Woche 37/2016

Abstimmung

zugespitzt

Ja zum Nachrichtendienstgesetz

Am vergangen Parteitag vom 30. August diskutierte die Thurgauer SP Vizepräsidentin und Nationalrätin Edith Graf-Litscher unter der Moderation von Parteisekretär Julian Fitze mit dem Zürcher SP Nationalrat Angelo Barrile über das neue Nachrichtendienstgesetz. Edith, welche in der sicherheitspolitischen Kommission das Gesetz mitprägen konnte, vertrat die Ja-Position, während Angelo Barrile die anwesenden Genossinnen und Genossen von einer ablehnenden Haltung zu überzeugen versuchte.
Das Gespräch wurde aufgezeichnet und von Julian Fitze für das Linksrum in gekürzter Form aufbereitet. Nach der Diskussion mit anschliessender, reger Beteiligung der Genossinnen und Genossen beschloss der Parteitag mit 34 zu 26 Stimmen die JA-Parole.

JF: Edith, Barbara Kern bekannte sich soeben dazu, eine Fiche gehabt zu haben. Einigen älteren Mitgliedern der SP wird es gleich gehen. Wieso sollte sich also eine der ehemals meistfichierten Parteien heute für mehr Rechte für den Nachrichtendienst einsetzen?

Edith: Mir ist bewusst, dass auch in diesem Raum mehrere Personen wie auch unsere Präsidentin Barbara Kern fichiert wurden. Dieser heimlichen Schnüffelei wurde Ende der 1990er Jahre ein Riegel geschoben. Heute leben wir in einer andern Zeit mit neuen Gefahrenpotentialen für die innere Sicherheit und die Menschen in unserm Land. Wir brauchen ein Gesetz, dass dem Nachrichtendienst gleich lange Spiesse gibt aber keinen Schnüffelstaat zulässt.

JF: Angelo, wir erleben Terroranschläge nur unweit von unseren Grenzen und die Bedrohungslage ist enorm - wieso sollte man dem Nachrichtendienst in dieser Situation die Mittel verwehren, welche er für die Erfüllung seiner Pflichten benötigt?

Angelo: Die Bedrohungslage hat sich verändert - hat man das Gefühl und damit auch dieses Gefühl, dass der Nachrichtendienst mehr Möglichkeiten erhalten solle. Das lehne ich in Anbetracht der neuen technischen Möglichkeiten nicht einmal ab - genauso sollten auch die Strafverfolgungsbehörden mehr Mittel erhalten. Doch darum geht es nicht, sondern darum, dass der Nachrichtendienst ohne Vorliegen einer Straftat und nur auf Verdacht uns alle überwachen darf. Auch 20 Jahre nach dem Fichenskandal musste man feststellen, dass der Nachrichtendienst wieder Daten sammelt und seine Kompetenzen überschreitet. Mit dem neuen Gesetz hätte er noch mehr Möglichkeiten. Die fehlende Kontrolle und die Gefahr, dass wir alle überwacht werden können, stört mich.

JF: Fehlende Kontrolle ist das richtige Stichwort. Edith, du hast in einem früheren Linksrum-Interview mit mir gesagt, dass du unter anderem wegen dem Ausbau der Kontrollmechanismen für dieses Gesetz stimmen wirst. Wie sehen diese eigentlich aus?

Edith: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Die Aufsicht und die gesetzliche Grundlage für den Nachrichtendienst ist heute relativ willkürlich. Wir wollen deshalb ein Gesetz, welches die Kompetenzen genau definiert. Ich wehre mich gegen die Darstellung, dass wir alle überwacht werden würden. Die SP steht sonst klar für Prävention und deshalb muss der Nachrichtendienst bei einem klaren Verdacht auch überwachen dürfen - was nur in vier Bereichen erlaubt würde: Es muss ein konkreter Verdacht bestehen für einen terroristischen Anschlag, verbotenem Nachrichtendienst, illegalem Waffenhandel z.B. mit nuklearer Bedrohung oder einen Angriff auf kritische Infrastruktur. Zurzeit muss Notrecht eingesetzt werden, um diese Bedrohungen präventiv zu bekämpfen. Wir von der SP haben uns dafür eingesetzt, dass ein «Gummi»-Artikel ersetzt wird. Mit dem neuen Gesetz unterliegen die Tätigkeiten des NDB einer dreifachen Kontrolle bzw. Aufsicht durch das vorgesetzte Departement, den Bundesrat und die Geschäftsprüfungskommission des Parlaments. Neu soll es auch eine unabhängige Kontrollinstanz (UKI) sowie stärkere kantonale Aufsichten geben.

JF: Angelo, Edith sagt nun, es sei gar nicht so, dass wir alle überwacht würden, das sei nur so, wenn du einen Terroranschlag planen würdest oder kritische Infrastruktur zerstören wolltest. Oder wie ist es denn, wenn der NDG erstmal feststellen muss, dass du sowas überhaupt planst?

Angelo: Also erstmal haben wir heute schon Mittel, um bei Verdacht auf Terrorismus aktiv zu werden - das sehen wir an aktuell laufenden Strafverfahren. Das ist also nichts Neues. Mich stört, dass man annimmt, mehr Datensammlung würde zu mehr Sicherheit führen. Wenn wir auf die andere Seite der Grenze schauen, nach Frankreich oder Belgien, so haben da Leute Anschläge verübt, die längst als gefährlich eingestuft wurden. Nur Datensammeln bringt also nicht viel. Ich möchte nochmal da einhaken, dass wir alle überwacht werden könnten. Es geht um die sogenannte Kabelaufklärung. Das bedeutet, der NDG darf alle Daten, welche zirkulieren, auf gewisse Stichwörter untersuchen. Es könnte also sein, dass eine Freundin von mir bei einer Email oder SMS an mich über eine «bombastische» Party vom Nachrichtendienst registriert wird. Daten, welche nicht zuzuordnen sind, dürfen als Restdaten 10 Jahre lang aufbewahrt werden. Gewisse anderen Daten noch länger.

JF: Soweit ich weiss, gilt diese Form der Überwachung nur für Daten, welche die Schweizer Grenze passieren. Also wenn deine Freundin dir von Zürich nach Zürich diese Mail schreibt, sollte das kein Problem sein?

Angelo: Aber ich besitze einen Apple, die Daten sind also automatisch schon nach Amerika und wieder zurückgegangen. Ich besitze ebenso ein iPhone, da gehen die Daten ebenfalls über die Grenze und wieder zurück.

Edith: Die Kabelaufklärung ist genau der Punkt, welcher bei uns in der Fraktion sowie der Partei stark kritisiert wird. Auch einige Provider haben das zum Thema gemacht, da sie nun die Randdaten, welche sie jedoch bereits zur Rechnungsstellung brauchen, ein halbes Jahr lang aufbewahren müssen. Wichtig ist aber, dass unser Nachrichtendienst nicht so arbeitet wie der US-amerikanische Geheimdienst, der möglichst viele Daten, also den Heuhaufen will. Unser Nachrichtendienst sucht nicht nur nach dem Wort «Bombe», sondern auch nach anderen Kriterien. Ebenfalls im neuen Gesetz geregelt wird, dass Daten, die man nicht braucht, also wo kein Verdacht besteht, der an die Strafverfolgungsbehörden weitergereicht wird, wieder löscht. Die Daten werden durch den NDB nicht auf Vorrat gesammelt, sondern die Kommunikationsströme werden im Sinne der Verhältnismässigkeit und der Effizienz und erst nach Vorleigen der konkreten Bewilligung gezielt durchsucht.

Angelo: Da sind wir in diesem Fall nicht derselben Meinung. Die Restdaten sollen 10 Jahre lang aufbewahrt werde, Der Nachrichtendienst muss Daten, die reinkommen auch aufbewahren. Als Restdaten werden in der bundesrätlichen Botschaft die Informationen verstanden, die nach der Eingangsprüfung nicht einem anderen System zugewiesen werden können, also theoretisch alle Informationen.

JF: Nach der Publikumsdiskussion [in diesem Artikel nicht eingebunden] möchte ich euch beidenfür die Diskussion danken und die Möglichkeit zu einem Schlusssatz geben: Warum sollen wir diesem Gesetz zustimmen oder es ablehnen?

Edith: Die SP hat im eidgenössischen Parlament in den vergangenen Jahren noch nie ein Gesetz so stark verbessern und prägen können, wie das vorliegende Nachrichtendienstgesetz. Zu Beginn konnte ich dem Gesetz wie es aus dem Bundesrat kam ebenfalls nicht zustimmen. Doch wir haben über 30 Anträge durchgebracht, wir haben das Gesetz verschärft, Freipässe herausgenommen, die Aufsicht klar definiert und erhöht und ganz klar eingeschränkt, in welchen Bereichen der NDB tätig sein darf. es zur Anwendung kommen darf. Deshalb haben wir jetzt ein Gesetz, welches für Heute und für die Zukunft tauglich sein wird.
Ich möchte an euch appelieren, das Gesetz anzunehmen. Denn bei einer Ablehnung heisst das, dass der Nachrichtendienst schlechtere und verwässerte gesetzliche Leitplanken hat und dadurch die Gefahr eines Missbrauchs und des Schnüffelstaats viel grösser wird, als wenn wir jetzt ein Gesetz annehmen, damit wir in der Schweiz einen sicheren Schutz der Privatsphäre, aber auch der inneren Sicherheit haben.

Angelo: Ich gebe Edith recht, wir konnten dem Gesetz gewisse Zähne ziehen. Trotzdem hat es für mich noch zu viele Ausnahmen und Möglichkeiten drin. Wir sind ein Land mit Freiheit und Demokratie und wenn wir nun von den Anschlägen hören, dann heisst es immer wieder, «lasst euch nicht einschränken, lasst euch nicht von der Angst beherrschen». Da kommt nun dieses Gesetz und aus einer Angst vor dschihadistischen oder anderen Anschlägen, lassen wir uns alle theoretisch in unserer Freiheit einschränken. Ich traue der Sache auch deshalb nicht, weil auch bei uns einmal andere Leute an der Macht sein könnten. Auch jetzt erhält der Vorsteher des VBS mit diesem Gesetz viel zu viel Macht.

JF: Herzlichen Dank euch beiden, dass ihr euch dieser Diskussion gestellt habt.

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